Umwege

Ich hatte dieses Buch schon lange im Auge. Und wusste nicht, in welcher Sprache ich es lesen wollte. Die Entscheidung fiel für die englische Übersetzung und ich ließ mir das Buch aus London mitbringe. Erst beim Aufschlagen sah ich, dass es sich um eine Übersetzung von Anthea Bell handelte (die gerade von der Deutschen Botschaft in London für Ihr Übersetzungswerk ausgezeichnet wurde) und war beglückt darüber. Schon der Titel ist eine Schönheit und hat die Übersetzung wunderbar überstanden, denn ich sehe bei In Times of Fading Light das abnehmende Licht durchschimmern – und ein Schimmer ist schön bei einer Übersetzung.
Den Umweg über die englische Sprache nehme ich selten bei deutschsprachiger Literatur. Aber hier war es eine bewusste Entscheidung, denn ich wollte dieses Buch nach der Lektüre an mir nahestehende englischsprachige Menschen verleihen und mit ihnen über diese deutsche Familiengeschichte sprechen, die von Zeit zu Zeit und von einem Ort zum anderen springt, so dass ich manchmal beim Lesen aufpassen musste, dass sie mich noch mitnahm, diese Geschichte.
Das Nichtdazugehören und doch Teil von etwas sein Wollen ist ein großes Thema von Alexander, einem der jüngeren Protagonisten der Geschichte. Er trägt die Verlorenheit seiner Eltern mit sich herum und reist damit nach Mexiko – seine Krankheit scheint ihn zu dieser Art Flucht zu bewegen. Die Flucht ist gleichzeitig eine Spurensuche, ein Versuch, die Großmutter besser zu verstehen, die nie im Deutschland der Nachkriegsjahre angekommen zu sein scheint und Mexiko im Herzen trägt. Auch ihre Schwiegertochter (und Alexanders Mutter) Irina kommt nicht an – und beide Frauen versuchen, sich auf unterschiedliche Weise Orte zu schaffen, die sich nach einem Zuhause anfühlen. Irina reißt dazu Wände ein und Charlotte wählt einen Wintergarten als Zufluchtsort. Dort gedeihen Pflanzen, die eigentlich ein warmes Klima benötigen – was sicherlich auch auf Charlotte zutrifft. Zuletzt muss sie dann mit ansehen, wie ihr zerstörerischer Mann ihr auch diesen Ort zunichte macht.
Am Ende des Romans wünschte ich mir ein bisschen weniger Verlorenheit. Aber diesen Gefallen taten mir Eugen Ruge und mit ihm seine Übersetzerin Anthea Bell nicht. Und ich denke mit etwas Abstand, dass ein Abschied vom Rauschen des Pazifiks zu diesem Buch genau passt. Es ist ein Gesprächsanlass über die deutsch-deutsche Vergangenheit, über Familiengeschichten, die in der (jetzt ehemaligen) DDR geschrieben wurden – und ein Anlass für mich, an meine Zeit an der University of Reading zu denken, als ich mich dort 1986/1987 mit der ‚Literature of the GDR‘ beschäftigte.

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